Holy Mess

Sparks Joy

„Ein Lob auf das Chaos: Warum das Versprechen des Minimalismus ein buchstäblich leeres ist.

Viele Menschen träumen von absoluter Ordnung, weniger Besitz halten sie für mehr. Auch unsere Autorin befolgte das Minimalismus-Gebot. Aber sie beginnt gerade, zum Gegenteil zu konvertieren.

Das Chaos ist ein Versprechen

Woher also kommt diese neue Freude an streng minimalistischer Ordnung? Wie kann es sein, dass Videos zu #decluttering millionenfach angeklickt werden und man heute so weit geht, Aufräumen und Saubermachen als meditativen Akt zu beschreiben? Eine Erklärung könnte lauten: Der Wunsch nach Ordnung wächst, wenn die Welt im Chaos zu versinken droht. Es geht um das Gefühl, das Leben, oder zumindest einen kleinen Teil davon, im Griff zu haben: mehr Kontrolle, mehr Sicherheit, mehr Kontinuität. (…)

Die Zeichen stehen unmissverständlich auf Verzicht. Sich demonstrativ dem Konsum zu verweigern, sich vom Materialismus loszusagen, das macht sich gut. Doch die ständige Zurückhaltung, zu glauben, immer performen zu müssen und ständig beobachtet zu sein, führt zu einer gezähmten Version unseres Selbst. Und wo wäre dieses Vorzeige-Ich besser zu Hause als im spaßbefreiten, kargen Raum? (…)

Das Chaos ist ein Versprechen: Hier darf gelebt werden. Man muss sich nicht ständig benehmen, kann faul auf der Couch liegen und die Dinge auch mal gut sein lassen. Vor kurzem war zu hören, dass selbst Marie Kondo inzwischen (nach Kind Nr. 3) nicht mehr ganz so hyperordentlich lebe wie noch vor zehn Jahren – und: Es gehe ihr gut damit. Das Chaos löst Freude aus, sparks joy.“

Artikel von Lea Hagmann Wohnen 15.06.2023 in der Bellvue.NZZ.ch